Ein Besuch bei Mama Kakao - Gastbeitrag von Lia Pipa

Ein Besuch bei Mama Kakao

Die Sonne ging langsam unter und die Dämmerung setzte gemächlich ein. Maja hörte die Kieselsteine unter ihren Schuhen knirschen. Der Herbst ließ den Forst in den allerschönsten Farben erstrahlen. Rot, braun, grün, gelb – überall säumten die ersten bereits herabgefallene Blätter den kleinen Pfad, der sich durch den magischen Wald schlängelte. Das Blätterrascheln bezeugte den Beginn der Zeit des Rückzugs. Die Natur war mitten im Prozess des Loslassens. Kurz davor sich in sich zurückzuziehen, sich auf erreichten Erfolgen auszuruhen und im Frühling mit neuer Kraft zu erwachen. Maja hörte ein Eichhörnchen keckern und sah es im Anschluss über den Baumstamm ins übrig-gebliebene Blätterdach flitzen. 

Der kleine Kiesweg führte sie an der großen Trauerweide, die sie so sehr liebte, vorbei. Im Sommer versteckte sie sich gerne unter den weit herabhängenden Ästen, lehnte sich an den Stamm und genoss den Moment. Doch heute hatte sie anderes im Sinn. Heute wollte sie eine Freundin besuchen. So sprach sie der Weide ihren stillen Dank aus, als sie vorüberging und steuerte den alten Holzstapel an. Hinter diesem bog sie einmal nach links, kurz darauf nach rechts und fand sich auf einer wundervollen Lichtung wieder. Von hier war es nicht mehr weit, ehe sie die alte Erdhütte erblickte. Sie war über und über mit Moos, Flechten und Efeu bedeckt. Fast unsichtbar fügte sie sich in ihre Umgebung ein. Und nur Menschen, die wahrlich nach ihr suchten, vermochten sie tatsächlich auch zu finden. Maja ging ehrfürchtig zur Holztüre. Sie nutzte den schmiedeeisernen Türklopfer, um sich bemerkbar zu machen und öffnete im Anschluss die Tür. 

Mollige Wärme empfing sie gleichzeitig mit dem erdigen Duft, den sie automatisch mit diesem, ihr so vertrauten Ort verband: Sandelholz. „Maja, mein Kind, ich habe dich schon erwartet“, hallte eine Stimme aus dem Wohnraum, „komm zu mir. Ich habe gerade frischen Kakao gemacht.“ Das ließ sich Maja nicht zweimal sagen. So durchquerte sie den Vorhang aus herabhängenden, bunten Perlen, der den Flur vom Wohnzimmer trennte. Im Kachelofen verglommen Holzscheite und gaben knackende Geräusche von sich. Auf dem großen, roten Sofa saß eine Gestalt, die sich nun in Bewegung setzte und Maja mit offenen Armen begrüßte. „Mama Kakao“, strahlte sie und breitete ebenfalls ihre Arme aus, um in der tiefen Umarmung der alten Dame zu versinken. Mama Kakao fasste Majas Wangen mit beiden Händen und küsste sie auf die Stirn. Und das Mädchen lächelte. So, wie sie immer lächelte, wenn sie in das freundliche, faltige Gesicht der weisen, alten Frau sah. Mit ihrem verschmitzten Lachen, das direkt aus dem Herzen kam und bis hinauf zu ihren gütigen, haselnussbraunen Augen reichte. Die wettergegerbte Haut bildete tiefe Falten rundherum, die wie Sonnenstrahlen wirkten. Das schwarz-grau melierte Haar hatte sie zu einem losen Dutt gebunden, aus dem sich einzelne Locken davongestohlen hatten, die ihr nun über die Schulter fielen. Sie reichte dem Mädchen eine bunte Tasse voll dampfend-warmem Kakao ehe sie zu zweit auf dem gemütlichen Sofa Platz nahmen. Maja atmete den herben Geruch ein, den sie so mochte und trank bedächtig ein paar Schlucke. Wie sehr sie diese Zeit der Ruhe, des Ankommens liebte. Es fühlte sich an, wie eine warme, flauschige Decke, in die man sich an einem nebeligen Herbsttag kuschelte. Während Mama Kakao sie mit interessierten Augen musterte, erzählte Maja ihr von ihrem Tag. Was alles gelungen war. Aber auch was alles schief gegangen war. Und die alte Frau lauschte gespannt.

Denn Mama Kakao war bekannt dafür eine gute Zuhörerin zu sein. Deshalb besuchten sie auch täglich die unterschiedlichsten Menschen, um sich ihr anzuvertrauen. Wenn einem das Herz schwer war, sorgte die alte Dame mit ihrem kunterbunten Geschirr und dem magischen Zaubertrank im Nu dafür, dass es ihnen wieder besser ging. Manchmal flossen zuvor auch Tränen. Das konnten Tränen der Traurigkeit sein. Oder Tränen der Freude und Dankbarkeit. Und manchmal, da forderte auch Angst oder Wut ihren Platz ein. Mama Kakao hieß sie alle Willkommen. „Lass alles raus mein Kind. Lass es einfach geschehen“, pflegte sie dann zu sagen, „damit die Schwere abfließt. Damit dein Herz wieder frei und unbekümmert im Takt der Liebe schlägt. Denn das ist der Trommelschlag des Universums, dem unsere Herzen alle folgen.“ Und so verließ jeder, wie auch Maja an diesem Tag, ein Stück gelöster das kleine, versteckte Erdhäuschen, um seinen Freunden von der gütigen und weisen alten Frau zu erzählen. Auf das sie auch deren Herzen öffnete und sie dabei unterstützte, dem Trommelschlag des Universums zu folgen.

Lia Pipa

Ein bisschen Ronja, ein bisschen Pippi und ganz viel Sternenstaub. Das innere Kind zelebrierend, geht sie mit offenem Herz durchs Leben. Mit einer gehörigen Portion Humor kreiert sie unverblümt, ehrliche Bilder des alltäglichen Lebens. Immer auf der Suche nach der Stille in ihr, lauscht sie dem Universum und lässt sich dabei von Menschen, Erlebnissen und Geschichten inspirieren. Sie hängt Tagträumereien und Gedankenmalereien nach und versucht dabei Antworten für Großes im Kleinen zu finden. 

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verfasst von Mischa Levit

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